Coronavirus: Natur oder Labor?

Auch im zweiten Jahr nach Corona ist völlig offen ob das Virus aus der Natur oder dem Labor stammt.

***

Völlig ausschließen lässt es sich zwar nicht, dass Coronaviren aus der Natur entnommen, sich etwa in einem Labor wie in Wuhan in Versuchstieren wie Frettchen weiterentwickelten und die Pandemie dann über infizierte Labormitarbeiter in die Welt getragen wurde. Das Erbgut eines Coronavirus, das aus einem solchen, hypothetischen Szenario resultierte, wäre nicht zu unterscheiden vom Erbgut eines natürlich in Fledermäusen, oder Schuppentieren (Pangolinen) kursierenden und dann auf den Menschen überspringenden.

Die Debatte über die Labortheorie war im Mai wieder entbrannt. Damals veröffentlichten 18 amerikanische Spitzenwissenschaftler einen offenen Brief in der Zeitschrift „Science“, in dem sie eine neue Untersuchung der WHO forderten. „Theorien über die versehentliche Freisetzung aus einem Labor“ seien „weiterhin tragfähig“, schrieb die Gruppe. (…) Ein drastisches Beispiel illustriert Pekings Blockadepolitik: Den US-Geheimdiensten zufolge wurden bereits Wochen vor den ersten offiziell gemeldeten Covid-Fällen in China mindestens drei Wissenschaftler aus Wuhan mit Symptomen ins Krankenhaus eingeliefert. Bis heute hat Peking dazu keine Befragungen zugelassen. Aber selbst bei voller Kooperation wäre es wohl wenig wahrscheinlich, den wahren Ursprung des Erregers zu finden. So sind die ersten Übertragungen des Ebola-Virus und des HI-Virus auch nach Jahrzehnten Forschung nicht eindeutig geklärt. „Wir werden vielleicht für immer im Dunkeln tappen“, sagte Eric Topol, Experte für molekulare Medizin am kalifornischen Scripps Research Translational Institute, dem Internet-Portal The Hill. (…) Lange hatten US-Medien, Denkfabriken und Experten den möglichen Ursprung im Labor als Verschwörungstheorie abgetan. Das lag auch daran, dass Ex-Präsident Donald Trump die Labortheorie gezielt im Wahlkampf nutzte, um Stimmung gegen China zu machen und von eigenen Verfehlungen in der Pandemie abzulenken. So bezeichnete Trump Sars-CoV-2 als „China-Virus“ und behauptete, der Erreger sei einem Labor entsprungen – ohne jemals Beweise dafür vorzulegen.

Der amerikanische Kongress­abgeordnete Mike Gallagher, ein 37 Jahre alter Republikaner aus Wisconsin, krempelte dieser Tage die Ärmel hoch und versuchte es – statt nur eine Pressemitteilung herauszugeben – mit einem Erklärvideo. Darin erzählt er die Geschichte von einem chinesisch-amerikanischen Forschungsvorhaben aus dem Jahr 2018, das jedem Menschen auf der Erde auch noch im Jahr 2021 die Haare zu Berge stehen lässt. Es ging bei den Experimenten um sogenannte „Gain of function“-Forschung an Coronaviren. Präsident Barack Obama hatte solche Vorhaben im Jahr 2014 in den USA verboten aus Angst vor Laborunfällen, die zu einer Pandemie führen könnten. Seither wurde mehr denn je in China geforscht, auch mit Geld aus den USA. Das Thema im Jahr 2018 war: Wie könnte man die in chinesischen Fledermäusen gefundenen Viren befähigen, besser in Zellen auch anderer Arten vorzudringen?

Wirklich handfeste Beweise für den Ursprung gibt es nicht. Es gibt ein paar spannende neue Details. Aber vor allem hat eine Neubewertung vor zwei Wochen für Schlagzeilen gesorgt. Peter Ben Embarek, das war der Leiter der WHO-Delegation, die sich in Wuhan umgesehen hat. Der hatte damals bei der Pressekonferenz vor Ort gesagt, dass es extrem unwahrscheinlich sei, dass SARS-CoV-2 aus einem Labor entkommen ist. Das war das Fazit, zu dem die WHO-Gruppe gekommen war. Nun hat Ben Embarek seine persönliche Einschätzung offenbar geändert. Er war in einer Dokumentation im dänischen Fernsehen zu sehen. Und da sagte er nun, er halte den Laborursprung doch für möglich. Allerdings hat er dabei nicht das Wuhan Institut für Virologie im Blick, sondern eine andere Einrichtung der chinesischen Gesundheitsbehörde in Wuhan. Dieses Labor sei Anfang Dezember umgezogen, dabei könnte das Virus freigesetzt worden sein. Das ist ein mögliches Szenario, aber auch dafür gibt es keine Beweise. In China sieht man das natürlich ganz anders. Dort macht im Moment wieder verstärkt eine andere, altbekannte Laborhypothese die Runde in den sozialen Medien: Dass das Coronavirus aus einem Militärlabor in den USA stammt. Fort Detrick in Maryland wird da genannt. Das musste schon mal herhalten als angebliche Quelle für HIV. Mittlerweile weiß man aber ziemlich sicher, dass dieses Gerücht zum HI-Virus damals in den 1980er-Jahren gezielt vom KGB gestreut worden war.



Hinterlasse einen Kommentar

Erstelle eine Website wie diese mit WordPress.com
Jetzt starten