Pöbelherrschaft

Europäer-Inbrunst, Europäer-Heisshunger! Und da stehe ich schon, als Europäer, ich kann nicht anders, Gott helfe mir! Amen! Die Wüste wächst: weh Dem, der Wüsten birgt! (Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra. Ein Buch für Alle und Keinen. 1892.)

Der Reiche betrachtet alles als käuflich für sich, weil er sich als die Macht der Besonderheit seines Selbstbewußtseins weiß. Der Reichtum kann so zu derselben Verhöhnung und Schamlosigkeit führen, zu der der arme Pöbel geht. Diese beiden Seiten, Armut und Reichtum, machen so das Verderben der bürgerlichen Geselschaft aus. (G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie des Rechts. 1819/20.)

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Den Begriff des reichen Pöbels habe ich von Georg Wilhelm Friedrich Hegel entlehnt. Er bezeichnet diejenigen, deren Reichtum es ihnen erlaubt, sich aus der gegenseitigen Abhängigkeit zu befreien, in der die meisten Menschen leben. Diese Abhängigkeit hat aber auch ihr Positives. Sie zwingt Menschen, zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse auch die Bedürfnisse der Allgemeinheit zu befriedigen, sie bindet sie an die Gesellschaft. Hegel sieht darin eine gewisse Sittlichkeit, eine moralisch-soziale Qualität. Wenn ich meine ökonomische Souveränität und größere Freiheit nutze, um nur meine eigenen Interessen zu befriedigen, zeige ich eine gewisse Feindseligkeit gegenüber der Gesellschaft. Hegel sagt, der Reiche pöblisiert. Zu pöblisieren ist aber etwas, das mit ihm geschieht und er müsste schon über große moralische Kraftverfügen, um dieser extremen Form der Wohlstandsverwahrlosung zu entgehen. (…)

Sie [die Mittelklasse] weist eine gewisse Findigkeit auf, ihre eigenen ökonomischen Privilegien zu verschleiern und ihre eigene Pöbelhaftigkeit auf globaler Ebene zu vertuschen, indem sie für die negativen Auswirkungen unseres Wirtschaftssystems lediglich eine kleine Gruppe verantwortlich macht. Tatsächlich aber profitiert das Besitz- und Bildungsbürgertum in sehr hohem Maße von unserem Wirtschaftssystem, deswegen will es das aufrechterhalten. Es ist ja nicht so, dass das System nur einem Warren Buffett nutzt. An ihm hängen tausend andere Menschen, die ebenfalls profitieren: Banker, Rechtsanwälte, Ingenieure et cetera.

Es ist ja nicht so, dass eine Handvoll skrupelloser Wölfe der Wall Street sich falsch verhält, und alles in Ordnung kommt, wenn wir sie nur zur Rechenschaft ziehen. Wir arbeiten alle für dasselbe System. An den Superreichen wird nur ein Grundproblem unseres Wirtschaftssystems deutlich: Geld fließt dahin, wo es sich vermehren kann. Das führt dazu, dass Reiche immer reicher werden und der Teil der Armen, die unter prekären Bedingungen leben, ebenso größer wird. Das Bildungsbürgertum profitiert auch von dieser Disposition der Gesellschaft.

Arbeit ist tatsächlich ein zentrales Unterscheidungsmerkmal, weil Reichtum zunehmend durch Kapitalrenditen entsteht und Spekulanten sich der gesellschaftlichen Arbeitsteilung entziehen. Sie produzieren nicht für den Genuss anderer. Reichtum entsteht aber auch dadurch, dass Menschen für ihre Arbeit besonders gut bezahlt werden. Dabei hängt die Bezahlung weniger davon ab, was jemand leistet, als davon, auf welcher Position er sich befindet. Spitzenmanager wie Hans-Olaf Henkel schreiben deswegen in ihrer Biographie in erster Linie nicht, was sie geleistet haben, sondern dass sie Vizepräsident bei IBM waren. Die Position ist der Mann selbst. Das Bürgertum verteidigt deshalb seinen Zugang zu den Positionen, die besser bezahlt werden. Trotzdem verbreitet es mit großer Emsigkeit die Legende von der gerechten Bezahlung.

Der arme Pöbel ist der Ausschuss der bürgerlichen Gesellschaft, der sich darüber empört, nicht mehr mitzuzählen, sei es ökonomisch oder kulturell, oder Angst hat, dass er bald nicht mehr mitzählen könnte. Und dessen Empörung zu einer feindlichen Gesinnung gegenüber der bürgerlichen Gesellschaft führt. Die Zunahme dieses Pöbels beschert den rechtspopulistischen Parteien enormen Zulauf. Gleichzeitig sehen wir, dass die Politik der Rechtspopulisten keineswegs sozial ist. Sie gibt dem armen Pöbel keine neuen Perspektiven oder Hoffnungen. Mit Blick auf die Steuergesetzgebung sehen wir bei US-Präsident Donald Trump zum Beispiel einen deutlichen Fokus darauf, Spitzeneinkünfte und große Vermögen zu entlasten. Das läuft gegen die Interessen eines Großteils der Wähler populistischer Parteien, ist aber im Sinne des reichen Pöbels.

Rassistisch waren viele dieser Menschen vielleicht schon immer – sie haben es nur lange nicht offen gezeigt. Die Frage ist, warum dieser Rassismus gerade jetzt wieder hoffähig wird. Ich denke, es liegt daran, dass der Rassismus sich mit anderen Ressentiments verbindet. Da ist zum einen die Angst vor dem eigenen Abstieg und dem Bedeutungsverlust und zum anderen die Selbstverliebtheit des Bürgertums. Dessen Kultur des Individuellen und Besonderen schließt jeden aus, der keinen Job hat, in dem er sich vermeintlich selbst verwirklichen kann oder der nicht das Besondere konsumiert. Damit befeuert das Bürgertum das Ressentiment des armen Pöbels – und gefährdet letztlich seine eigene Daseinsgrundlage.

Björn Vedder: »An Reichen wird das Problem des Systems deutlich« (Interview)



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