Gläserne Bienen

Wie eine schwebende Kanüle taumelt der kleine Bienenroboter in der Luft. Am unteren dicken Ende rudern vier durchsichtige Flügelchen eifrig durch die Luft – angetrieben von künstlichen Muskeln, also Kunststoffen, die durch elektrische Spannung ihre Form ändern. Den Strom liefern am oberen Ende aufgespießte, hauchdünne Solarzellen. Bis hierhin war es ein weiter Weg, denn von Menschen erdachte Fluggeräte taugen nicht als Vorbild. Künstliche Insekten fallen einfach nach unten, erklärt Professor Robert Wood von der Harvard-Uni in der Nähe von Boston. „Insekten unterscheiden sich sehr von unseren Flugzeugen. Die wurden entwickelt, um passiv-stabil zu sein: Wenn die Turbinen ausfallen, gleiten sie trotzdem – ohne aktive Kontrolle – sicher nach unten. Bei Insekten funktioniert das nicht so.“ Weil Schrauben und Muttern für die filigranen Flugobjekte zu mächtig sind, werden die Roboter aus vorgestanzten Plastikbögen in dreidimensionale Formen gefaltet. Ähnlich einem Aufklappbilderbuch, bei dem Elemente räumlich „herausspringen“: „Es ist fast so eine Art Origami“, erklärt Havard-Mitarbeiter Michael Smith. „Wenn ich diesen Teil der Platte anhebe, entsteht – über kleine Gelenke – automatisch die Robobee – aus EINEM Stück Material. Wir können Massen davon herstellen – es ist eine preiswerte Technologie. Wenn die Hälfte nach Erkundungsflügen nicht zurückkommt, ist das auch kein Problem.“ Eine Robobee wiegt 260 mg – also weniger als eine Büroklammer – mit einer Flügelspanne von dreieinhalb Zentimetern. Biomimikry nennt sich dieses Nachahmen der Natur.

***

Da war Giacomo Zapparoni, auch einer von denen, die ihr Geld nicht zählen können, obwohl noch der Vater nur mit einem Stock in der Hand über die Alpen gekommen war. Man konnte keine Zeitung, keine Zeitschrift öffnen, vor keinem Bildschirm sitzen, ohne daß man auf seinen Namen stieß. Seine Werke lagen ganz in der Nähe; er hatte es durch Auswertung fremder, aber auch eigener Erfindungen zu einem Monopol gebracht.

Die Journalisten erzählten Märchenhaftes von den Dingen, die er dort herstellte. Wer hat, dem wird gegeben: wahrscheinlich ließen sie noch ihre Phantasie spielen. Die Zapparoni-Werke bauten Roboter zu allen möglichen Verrichtungen. Sie lieferten sie auf besondere Bestellung und in Standardmodellen, die man in jedem Haushalt sah. Es handelte sich dabei nicht um die großen Automaten, an die man zunächst bei diesem Namen denkt. Zapparonis Spezialität waren die Liliput-Roboter. Von gewissen Ausnahmen abgesehen, lag ihre obere Grenze bei der Größe einer Wassermelone, während sie nach unten ins Winzige gingen und an chinesische Kuriositäten erinnerten. Dort wirkten sie wie intelligente Ameisen, aber immer noch in Einheiten, die als Mechanismen, also nicht etwa auf eine rein chemische oder physikalische Weise arbeiteten. Das gehörte zu Zapparonis Geschäftsmaximen oder, wenn man so will, zu seinen Spielregeln. Oft schien es, als ob er zwischen zwei Lösungen um jeden Preis die raffiniertere bevorzugte. Aber das lag im Zuge der Zeit, und er stand sich nicht schlecht dabei.

Zapparoni hatte mit winzigen Schildkröten begonnen, die er Selektoren nannte und die sich bei feineren Ausleseprozessen bezahlt machten. Sie zählten, wogen und sortierten Edelsteine oder Banknoten, wobei sie die Fälschungen ausschieden. Das Prinzip hatte sich bald auf die Arbeit in gefährlichen Räumen, auf die Behandlung von Sprengstoffen und ansteckenden oder strahlenden Substanzen ausgedehnt. Es gab Schwärme von Selektoren, die kleine Brandherde nicht nur wahrnahmen, sondern auch im Entstehen löschten, es gab andere, die Fehlstellen an Leitungen ausbesserten, und wiederum andere, die sich von Schmutz ernährten und unentbehrlich wurden bei allen Vorgängen, die perfekte Reinigung voraussetzen. Mein Onkel, der Senator, der zeitlebens am Heufieber gelitten hatte, konnte sich die Reisen ins Hochgebirge sparen, nachdem Zapparoni Selektoren in den Handel gebracht hatte, die auf Pollen dressiert waren. (…)

Man sah die Werke schon von weitem: niedrige weiße Türme und flache Ateliers in großer Menge, ohne Masten und Schornsteine. Sie waren in bunte Farben eingekleidet, weil die Umfassungsmauer zahllose Plakate trug. Ein Nebengeschäft, das Zapparoni indessen mit besonderer Liebe pflegte, war das Lichtspiel, dem er mit seinen Robotern und Automaten eine fast märchenhafte Perfektion verlieh.

Es gibt Prognosen, die behaupten, daß unsere Technik eines Tages in reine Zauberei ausmünden wird. Dann wäre nur alles Anlauf, an dem wir teilnehmen, und die Mechanik würde sich in einer Weise verfeinert haben, die grober Auslösungen nicht mehr bedarf. Lichter, Worte, ja fast Gedanken würden hinreichen.

Die Zapparoni-Filme näherten sich solchen Prognosen schon deutlich an. Was alte Utopisten ersonnen hatten, war demgegenüber grobdrähtig. Die Automaten hatten eine Freiheit und tänzerische Eleganz gewonnen, die ein eigenes Reich erschloß. Hier schien verwirklicht, was man zuweilen im Traum zu fassen glaubte: daß die Materie denkt. Daher besaßen diese Filme eine mächtige Anziehungskraft. Besonders die Kinder wurden durch sie gebannt. Zapparoni hatte die alten Märchenfiguren entthront. Wie einer der Erzähler, die sich in arabischen Cafes auf einen Teppich niederlassen und den Raum verwandeln, spann er seine Fabeln aus. Er schuf Romane, die man nicht nur lesen, hören und sehen konnte, sondern in die man eintrat, wie man in einen Garten tritt. Er war der Meinung, daß die Natur sowohl an Schönheit wie an Logik nicht genüge und daß sie zu übertreffen sei. In der Tat brachte er einen Stil hervor, dem sich auch die menschlichen Schauspieler anpaßten, der ihnen Vorbild war. Man traf die charmantesten Puppen bei ihm, betörende Traumbilder.

Die Filme hatten Zapparoni noch in besonderer Weise beliebt gemacht. Er war der gute Großvater, der Geschichten erzählt. Man sah ihn mit weißem Vollbart wie früher den Weihnachtsmann. Die Eltern beklagten sich sogar, daß er die Kinder zu stark beschäftige. Sie konnten nicht einschlafen und träumten unruhig, überreizt. Aber das Leben war schließlich überall anstrengend. Das formte die Rasse, und damit mußte man sich abfinden. (…)

Obwohl die Sonne schon hoch am Himmel stand, herrschte am Eingang ein reges Kommen und Gehen. Daß Zapparonis Arbeiter wirklich Herren waren, bezeugte kein Umstand besser als der, daß ihnen keine Arbeitszeit gesetzt wurde. Sie kamen und gingen, wie es ihnen lag, vorausgesetzt, daß sie nicht gerade im Team arbeiteten. Das war im Modellwerk die Ausnahme. Freilich muß ich hinzufügen, daß diese Regelung oder vielmehr Nichtregelung für Zapparoni günstig war. Das Arbeitsethos in seinen Werken ließ nichts zu wünschen übrig; man schaffte dort nach Art der Künstler, die von ihrem Opus besessen sind. Es gab keine Arbeitszeit — das hieß eher, es wurde fast immer gearbeitet. Die Arbeiter träumten von ihren Kunstwerken. Daß sie Herren waren, ließ sich daraus ersehen, daß sie Zeit hatten. Das hieß aber nicht, daß sie Zeit verschwendeten. Sie hatten diese Zeit vielmehr, wie reiche Leute ihr Geld im Sack haben. Ihr Reichtum ruht im Sack, nicht in der Ausgabe. Man spürt ihn aber in ihrem Auftreten. (…)

Es war kein Zweifel möglich, ich befand mich in Zapparonis Residenz. Sein Hauptwerk hatte früher an einem anderen Ort gelegen, bis er, der ewigen Um-und Anbauten überdrüssig, beschlossen hatte, es hier nach einem neuen Plan zu jener Vollkommenheit zu bringen, die im großen wie im kleinen seine Schöpfungen auszeichnete. Bei Prüfung des Baugeländes hatte sich ergeben, daß in einiger Entfernung ein Zisterzienserkloster lag. Es war seit langem in die öffentliche Hand geraten, doch kaum benutzt worden. Die Kirche und das Hauptgebäude waren der Zeit zum Raub gefallen, doch die Umfassungsmauer und das Refektorium waren unzerstört. Der Refektoriumsbau umfaßte außer dem großen Speisesaal der Mönche noch Räume, die als Küchen, Vorrats-und Gästekammern gedient hatten. In ihnen richtete Zapparoni sich ein. Das Haus hatte stattliche Ausmaße. Ich hatte zuweilen Abbildungen in den illustrierten Zeitschriften gesehen. (…)

Sein Pressechef hatte ein System der indirekten Berichterstattung entwickelt, das die Neugier anreizte, doch nie befriedigte. Einen Menschen, von dem man Bedeutendes hört, doch dessen Gesicht man nicht kennt, hält man für schön, für majestätisch vielleicht. Einen Menschen, von dem viel gesprochen wird, doch von dem man nicht weiß, wo er sich aufhält, vermutet man überall; er scheint sich auf wunderbare Weise zu vervielfältigen. Ein Mensch, der so mächtig ist, daß man von ihm nicht mehr zu sprechen wagt, wird fast allgegenwärtig, da er unser Inneres beherrscht. Wir meinen, daß er unsere Gespräche mithört und daß seine Augen auf uns ruhen, während wir in unserer Kammer sind. Ein Name, den man nur flüstert, ist mächtiger als einer, der auf den Märkten ausgeschrien wird. Zapparoni war das bekannt. Er durfte andererseits die Propaganda nicht vernachlässigen. Das führte vexierbildhafte Überraschungen in sie ein. Es war ein neues System. (…)

Die Räume lagen auf der Südseite, denn die Sonne fiel gedämpft durch matte Scheiben auf die Teppiche. Ich wurde in die Bibliothek geführt. Auf den ersten Blick schien keines dieser Stücke die Verhältnisse eines wohlhabenden Privatmannes zu überschreiten, ihr Anblick enttäuschte meine Erwartungen. Ich hatte unter dem Einfluß der Zeitungen vermutet, in eine Art von Zauberkabinett zu kommen, in dem der Besucher durch automatische Überraschungen halb in Erstaunen, halb in Bestürzung versetzt wurde. Ich sah sogleich, daß ich mich in dieser Hinsicht verschätzt hatte. Ich hätte mir freilich denken können, daß ein Zauberer und Herr der Automaten dergleichen in seiner Intimität nicht liebt. Wir pflegen uns doch alle in einer Weise zu erholen, die von unseren Geschäften so weit wie möglich verschieden ist. Ein General spielt kaum mit Zinnsoldaten, und ein Briefträger macht sonntags keine Gewaltmärsche. Ebenso sagt man, daß die Clowns in ihren vier Wänden meist ernsthaft, ja melancholisch sind. (…)

In der Bibliothek war es still und angenehm. Die Bücher strömten eine ruhige Würde aus. Sie reihten sich in den Regalen in Einbänden aus hellem Pergament, geflammtem Kalbleder und braunem Maroquin. Die Pergamentbände waren mit der Hand beschrieben; die Lederrücken trugen rote und grüne Titelschilder oder waren mit goldenen Lettern bedruckt. Trotz ihrem Alter machte die Büchersammlung nicht den Eindruck, daß sie da war, um Tapisserie zu bilden, sondern daß sie benutzt wurde. Ich las einige Titel, die mir wenig sagten: frühe Technik, Kabbala, Rosenkreuzer, Alchemie. Vielleicht erholte sich hier ein Geist auf längst überwucherten Irrwegen.

Die starken Mauern hätten den Raum verdüstert, wenn er nicht durch die Fenster, die fast auf den Boden reichten, viel Licht gehabt hätte. Die Glastür stand offen; sie führte auf eine breite Terrasse hinaus. Der Blick fiel auf den Park wie auf ein altes Bild. Die Bäume strahlten im frischen Laubglanz; das Auge fühlte, wie sie ihre Wurzeln im Grunde feuchteten. Sie säumten die Ufer eines Baches, der träge dahinfloß und sich zuweilen zu Flächen erweiterte, auf denen ein grünes Mieder von Wassermoosen schimmerte. Das waren die Fischteiche der Mönche gewesen; die Zisterzienser hatten wie die Biber in den Sümpfen gebaut.

Es war ein Glücksfall, daß die Mauer noch erhalten war. Meist, und vor allem in der Nähe von Städten, sind diese Ringe abgetragen; sie haben als Steinbrüche gedient. Hier aber sah man hin und wieder durch das Laub der Bäume den grauen Stein. Die Mauer schien sogar feldmäßige Flächen einzuschließen, denn ich sah in der Ferne einen Bauern, der hinter dem Pfluge ging. Die Luft war klar; die Sonne blinkte auf dem Fell der Pferde und auf der Scholle, die sich im Schnitte wendete. Das Bild war heiter, wenngleich befremdend im Anwesen eines Mannes, der unter anderem auch mit Traktoren für Gärtner handelte, die wie Maulwürfe die Beete lockerten. Indessen sprach ja alles an seinem Haushalt für museale Neigungen. Vermutlich wollte er keine Maschinen sehen, wenn er auf der Terrasse seine Bäume und Weiher betrachtete. Das hatte zudem den Vorteil, daß auf seinen Tisch nur Früchte kamen, die auf die alte Weise gebaut waren. Auch hier gilt der Satz, daß sich die Worte verändert haben, denn Brot ist nicht mehr Brot und Wein ist nicht mehr Wein. Es sind verdächtige Chemikalien. Man muß schon außergewöhnlich reich sein, wenn man heute Vergiftungen vermeiden will. Dieser Zapparoni war ohne Zweifel ein Schlaufuchs, der in Malepartus zu leben wußte, und zwar auf Kosten der Dummköpfe, wie ein Apotheker, der sich seine Drogen und Wundermittel mit Gold aufwiegen läßt, während er selbst sich nach der Väter Weise gesund erhält.

Wahrhaftig, es war friedlich an diesem Ort. Das Brausen der Werke, der Parkplätze und Anfahrtstraßen drang nur als feines Summen durch die Laubgipfel. Dafür hörte man die Melodien der Stare und Finken, und an den morschen Stämmen hämmerte der Specht. Die Drosseln hüpften und weilten auf den Rasenplätzen, und zuweilen ertönte im Teichgrund das Klatschen eines Karpfens, der aufschnellte. Auf den Rabatten und Medaillons vor der Terrasse, wo sich die Blumen drängten, kreuzten die Bienen und teilten sich mit den Faltern den süßen Raub. Es war ein Maitag in seiner vollen Pracht. (…)

Ein leichtes Geräusch ließ mich aufschrecken. Es mußte jemand eingetreten sein. Aufspringend sah ich mich einem alten Manne gegenüber, der mich betrachtete. Er mußte aus einem Kabinett gekommen sein, dessen Türe geöffnet war. Ich sah die Ecke eines großen Tisches, den trotz der Mittagszeit noch eine Lampe beleuchtete. Er war mit beschriebenen und bedruckten Papieren und aufgeschlagenen Büchern bedeckt.

Der Unbekannte war alt und klein — aber indem ich diese Feststellungen traf, fühlte ich sogleich, daß sie nichts aussagten. War er denn unbekannt? Und war er alt und klein? Reich an Jahren gewiß, denn ich sah weiße Haare unter der grünen Kappe leuchten, die er zum Schütze der Augen trug. Auch zeigten die Züge einen Duktus, wie ihn ein langes Leben ausformt und verleiht. Wir finden Ähnliches bei großen Schauspielern, die den Geist von Epochen spiegelten. Doch während dort das Schicksal gewissermaßen in der Hohlform arbeitet, hatte es hier im Kern gewirkt. Das war kein Darsteller.

Die Feststellung des Alters war zweiten Ranges, da der Geist kein Alter trägt. Dieser Alte konnte eher in ein Risiko eintreten, sei es physisch, moralisch, geistig, als zahllose Junge und es besser bestehen, da Macht und Einsicht, erworbene List und angeborene Würde sich in ihm vereinigten. Was war sein Wappentier? Ein Fuchs, ein Löwe, einer der großen Raubvögel? Ich mußte eher an eine Chimäre denken, wie sie auf unseren Domen horsten und mit wissendem Lächeln auf die Stadt hinabschauen.

Ebenso wie er alt und doch nicht alt schien, war er auch klein und doch nicht klein; sein Wesen löschte diesen Eindruck aus. Ich hatte im Leben einige Begegnungen mit bedeutenden Menschen gehabt — ich meine solche, die mit den innersten Rädern unseres Getriebes, ganz nahe der unsichtbaren Achse, zu tun haben. Es können Männer sein, deren Name sich in jeder Zeitung findet, aber auch gänzlich Unbekannte, sie können gut oder böse, tätig oder untätig sein. Dennoch ist etwas Gemeinsames, Imponierendes um sie, das zwar nicht alle, aber doch viele, und zwar einfache Naturen eher als komplizierte, wahrnehmen. Ein Philosoph etwa, dem diese Kraft gegeben ist, ein Neuordner des Weltstoffes, ist imstande, Zuhörer zu faszinieren, die kein Wort seines Vertrages verstehen. Sie hängen gebannt an seinem Mund. Dasselbe ist möglich auf jedem anderen Gebiet. Es muß eine unmittelbare Wahrnehmung der Größe geben, die unabhängig vom Verständnis ist. Wir werden getroffen wie die Magneten vom elektrischen Strom. Daß seine Stöße Buchstaben, Worte, Texte bilden, ist eine andere Sache, ja mindert oft sogar die Macht der Anziehung. Es ist nicht einfach, über diese Bedeutung etwas auszusagen, da sie gestaltlos ist. Sie setzt sich um in Werke und Taten, in geistige und moralische Symbole oder wirkt auch durch Nichthandeln, etwa durch Askese, Opfer und Meditation. Doch unsere Wahrnehmung liegt unterhalb der Entfaltung, geht ihr voran. Sie entspricht als dunkles Gefühl der ungesonderten Einwirkung. Wir empfinden etwa: »Der ist es« oder »Der wird es machen«, oder wir spüren einfach den Anhauch des Unheimlichen.

Ähnlich erging es mir hier mit Zapparoni — ich hatte das Gefühl: »Der hat die Formel« oder: »Das ist ein Eingeweihter, einer von den Hochgraden«. Ein Wort, das zu einer unserer gängigen Phrasen geworden ist, nämlich »Wissen ist Macht«, gewann hier einen neuen, unmittelbaren, gefährlichen Sinn. (…)

Ich war der Meinung gewesen, daß Zapparonis Monopole auf der geschickten Ausbeutung von Erfindern beruhten — aber ein Blick genügte, um zu sehen, daß hier mehr am Werke war als merkurische Intelligenz, die aus plutonischen Bereichen Rente zieht. Jupiter, Uranus und Neptun standen in machtvoller Konstellation. Es war wohl eher so, daß dieser kleine Alte auch die Erfinder zu erfinden wußte — daß er sie fand, wo immer sein Mosaik es erforderte.

Erst später fiel mir auf, daß ich sogleich gewußt hatte, wem ich gegenüberstand. Das war insofern merkwürdig, als der große Zapparoni, wie jedes Kind ihn kannte, nicht die mindeste Ähnlichkeit besaß mit jenem, dem ich in der Bibliothek begegnete. Die Gestalt, die insbesondere der Zapparoni-Film entwickelt hatte, ging eher auf einen milden Großvater aus, auf einen Weihnachtsmann, der in verschneiten Wäldern seine Werkstätten hat, in denen er Zwerge beschäftigt und rastlos darüber nachsinnt, womit er den großen und kleinen Kindern Freude machen kann. »Alle Jahre wieder — -« auf diesen Ton war der Katalog der Zapparoni-Werke gestimmt, der in jedem Oktober mit einer Spannung erwartet wurde, deren sich kein Märchenbuch, kein Zukunftsroman erfreut hatte.

Zapparoni mußte also wohl einen Beauftragten haben, der diesen Teil seiner Repräsentation übernahm, vielleicht einen Schauspieler, der den père noble machte, oder auch einen Roboter. Es war sogar möglich., daß er mehrere solcher Schemen, solcher Projektionen des eigenen Ich beschäftigte. Das ist ein alter Traum des Menschen, der besondere Redewendungen hervorgebracht hat, wie etwa: »Ich kann mich nicht vierteilen«. Zapparoni erkannte das anscheinend nicht nur als möglich, sondern als vorteilhafte Ausdehnung und Steigerung der Personalität. Seitdem wir mit Teilen unseres Wesens, wie mit der Stimme und dem Erscheinungsbilde, in Apparaturen ein-und aus ihnen wieder heraustreten können, genießen wir gewisse Vorteile des antiken Sklavenwesens ohne dessen Nachteile. Wenn einer das erfaßt hatte, so war es Zapparoni, der Kenner und Entwickler der Automaten nach der Spiel-, Genuß-und Luxusseite hin. Eines seiner zum Wunschbild erhobenen Ebenbilder paradierte, mit überzeugenderer Stimme und milderem Äußeren, als ihm die Natur verliehen hatte, in Wochenschauen und auf Fernsehschirmen, ein anderes hielt in Sidney eine Ansprache, während der Meister sich, behaglich meditierend, in seinem Kabinett aufhielt. Ich fühlte ein Schwanken vor dieser Andersartigkeit. Sie wirkte wie eine optische Täuschung, rief Zweifel an der Identität hervor. Wer sagte mir, ob ich hier vor dem Richtigen stand? Aber er mußte es sein, und der gute Großvater war ein Sous-Chef von ihm. Die Stimme war übrigens angenehm. (…)

Ich muß freilich zugeben, daß Zapparoni als das Paradepferd des gehobenen technischen Optimismus gelten konnte, der unsere führenden Geister beherrscht. Die Technik nahm ja auch bei ihm die Wendung zum schlechthin Angenehmen — der alte Wunsch der Magier, durch Gedanken unmittelbar die Welt zu ändern, schien nahezu erfüllt. Dazu kam noch die große Wirkung seines Bildes, um das ihn jeder Staatspräsident beneiden konnte und das man immer von Scharen von Kindern umgeben sah.

Was da ununterbrochen ersonnen, gebaut und in Serie gefertigt wurde, erleichterte das Leben sehr. Zum guten Ton gehörte, zu verschweigen, daß es zugleich gefährdete. Es ließ sich jedoch schwer ableugnen. In den letzten Jahrzehnten war es gottlob zu keinem Großbrande gekommen, wohl aber zu einer Reihe von örtlichen Krisen, anläßlich deren die Weltmächte eine vorsorgliche Bilanz des Schadens aufstellten, den anzurichten sie sich zutrauten. Da hatte sich denn gezeigt, daß die Zapparoni-Werke in dieser Aufstellung eine Hauptrolle spielten und daß alle diese Liliput-Roboter und Luxusautomaten nicht nur zur Verschönerung, sondern auch zur Abkürzung des Lebens beitragen konnten, ohne daß sich an ihrer Konstruktion viel änderte. Gemeinsam war ihnen nur die widerwärtige Art der Nachstellung, der feige Triumph von kalkulierenden Gehirnen über den Lebensmut.

Im großen glichen die Zapparoni-Werke einem Janustempel mit einem bunten und einem schwarzen Tore, und wenn sich der Himmel bewölkte, quoll aus dem dunklen ein Strom von ausgeklügelten Mordinstrumenten hervor. Dieses dunkle Tor war gleichzeitig Tabu; es sollte eigentlich garnicht vorhanden sein. Aber es sickerten immer wieder höchst beunruhigende Gerüchte aus den Konstruktionsbüros durch, und nicht umsonst lag das Modellwerk im innersten Sperrkreise. Vermutlich stand ja auch der Posten, der hier vergeben werden sollte, mit solchen Dingen in Zusammenhang. (…)

Soll Wissen Macht sein, so muß man zunächst wissen, was Wissen ist. Daß Zapparoni darüber nachgedacht hatte, verriet sein Blick; er war ein Eingeweihter, ein Wissender. Er hatte sich Gedanken über die Entwicklung gemacht, die über das Technische hinausgingen. Das sah ich den Augen an. Er blickte als Chimäre über die grauen Dächer; er hatte im lichtblauen Gefieder den Urwald belebt. Ein Schimmer der immateriellen Farbe war abgesplittert in unsere Zeit. Sein Plan, sein Ehrgeiz mußte auf Höheres zielen, als den immer wachsenden Hunger der Massen nach Macht und Luxus zu befriedigen. (…)

Zapparoni besaß viele Gesichter, wie sein Werk viele Bedeutungen. Wo war der Minotaurus in diesem Labyrinth? War es der gute Großvater, der Kinder, Hausfrauen und Kleingärtner beglückte, war es der Kriegslieferant, der die Armee zugleich moralisierte und mit unerhörtem Raffinement ausstattete, war es der kühne Konstrukteur, dem es rein um das geistige Spiel zu tun war und der eine Kurve beschreiben wollte, die zu den Grundformen zurückführte? Handelte es sich einfach um die Beschaffung einer neuen Ausrüstung, wie sie in allen Klassen des Tierreiches zu verfolgen war und für welche die Natur den Intellekt einspannte, als Mittel zu Hilfe nahm? Das würde manchen naiven Zug erklären, der an den Akteuren verwunderte.

(Ernst Jünger: Gläserne Bienen. 1957.)



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